Junge geflüchtete Menschen sind zahlreichen belastenden Faktoren ausgesetzt, die sich negativ auf ihre Psyche auswirken können. Dabei sind es nicht nur traumatische Erlebnisse vor oder während der Flucht, die belastend wirken, sondern auch diejenigen, die nach der Einreise wirken: Aufenthaltsrechtliche Unsicherheit, rassistische Diskriminierung, Trennung von der Familie – um nur einige zu nennen – stellen große Probleme in der Lebenswirklichkeit der jungen Menschen dar. Eine bedarfsorientierte jugendhilferechtliche Betreuung und Versorgung hingegen kann im engen Austausch mit niedergelassenen Therapeut*innen, den örtlichen Psychosozialen Zentren, Selbstorganisationen und weiteren Akteuren ein wichtiger Schutzfaktor für die mentale Gesundheit sein und Belastungsfaktoren entgegenwirken. Diese Themenseite beleuchtet die Herausforderungen bei der psychosozialen Versorgung junger Geflüchteter, weist Lösungsansätze aus und liefert praktische Hinweise, um die psychosoziale Versorgung junger geflüchteter Menschen zu verbessern.
Hintergrund
Die Rolle der Fachkräfte der Jugendhilfe in der psychosozialen Versorgung junger Geflüchteter

Gerade in der aktuellen Situation, in der geflüchteten Kinder, Jugendlichen und jungen Volljährigen der kinderrechtlich geschützte diskriminierungsfreie Zugang zur Kinder- und Jugendhilfe immer häufiger verwehrt wird (s. hierzu die eigene Themenseite), ist es wichtig, eine bedarfsorientierte jugendhilferechtliche Versorgung als entscheidenden Schutzfaktor für die mentale Gesundheit junger geflüchteter Menschen zu begreifen. Versorgung und Unterbringung fern jugendhilferechtlicher Standards kann dazu führen, dass sich psychische Leiden chronifizieren oder überhaupt erst manifest werden. Durch frühzeitige Interventionen und gezielte Unterstützung hingegen können negative Folgen von traumatischen Erfahrungen abgemildert und die Resilienz der Betroffenen gestärkt werden. Entscheidend ist, dass Bedarfe im Rahmen des Clearingverfahrens frühzeitig erkannt werden, sodass die passendste Unterbringungsform gefunden wird, die Förderung der mentalen Gesundheit Eingang in das Hilfeplanverfahren findet und gegebenenfalls frühzeitig therapeutische Unterstützung eingeleitet werden kann. Die Fragebögen Traks – „Früherkennung, Stabilisierung, Therapie: trauma- und kultursensibel für junge Geflüchtete“ (entwickelt in Kooperation von PSZ Düsseldorf e. V., refugio thüringen e.V. und Frau Dr. Nitschke- Janssen aus Hamburg) können hierfür Orientierung bieten. Auf der Website des Fachverbandes für Traumapädagogik e.V. finden sich Standards- und Lehrmaterial für die Etablierung traumapädogogischer Angebote im Rahmen der stationären Kinder- und Jugendhilfe.

Einfluss von Rassismus auf die mentale Gesundheit & Rassismus im Gesundheitswesen

Den negativen Einfluss von Rassismus auf die mentale Gesundheit belegen mehrere Studien.  Zugleich ist die Gesundheitsversorgung selbst nicht frei von rassistischen Strukturen – hier berichten auch immer wieder Fachkräfte im Rahmen der BumF-Onlineumfrage. Von Vorurteilen und Stereotypen seitens medizinischer Fachkräfte bis hin zu strukturellen Barrieren im Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen – rassistische Diskriminierung beeinträchtigt die psychosoziale Versorgung junger Geflüchteter erheblich. Sie sorgt dafür, dass Zugang zu Versorgung eingeschränkt wird und damit ihr Recht auf Gesundheit verletzt wird. Fachkräfte sollten hier parteilich an der Seite der jungen Menschen stehen, Räume anbieten, um über die Erfahrungen zu sprechen und im Falle von Diskriminierungen junge Menschen dabei unterstützen gegen diese vorzugehen. Diskriminierungsberatungsstellen sind hier ein wichtiger Partner, der Informationen und Unterstützungen bereithält.  Weiße Fachkräfte sind in besonderer Weise gefordert, ihre eigene Verwicklung in rassistische Denk-und Handlungsmuster kritisch zu reflektieren und zu verlernen. Die Arbeitshilfe „Wir müssen reden“ Rassismus thematisieren in mehrheitlich weißen Beratungs- und Therapiestrukturen im Kontext Flucht“  der BAfF e.V. bietet neben zahlreichen weiteren Veröffentlichungen zum Thema Möglichkeit zur (selbst)kritischen Auseinandersetzung. Auf unserer Themenseite Rassismuskritik und Empowerment in der Arbeit mit jungen geflüchteten Menschen und unserer BumF-Podcast-Folge „Antirassismusarbeit ist wie Zähneputzen“ finden sich weitere Anregungen.

Empowerment und rassismuskritische Perspektiven in der psychosozialen Versorgung

Weil Rassismus einen gravierenden Einfluss auf die mentale Gesundheit hat und rassistische Strukturen allzu oft eine adäquate Versorgung junger geflüchteter Menschen verhindern, müssen Empowerment-Angebote als essentieller Teil einer angemessenen psychosozialen Versorgung aufgefasst werden. Der Empowerment-Begriff aus einer rassismuskritischen Perspektive steht für Selbstermächtigung, Selbstbestimmung, Selbstbefreiung und politischen Kampf. Empowerment beschreibt somit den Prozess, in dem sich strukturell benachteiligte Menschen dem Defizitblick, der sich auf sie richtet, widersetzen und eigene Kräfte entwickeln, um an politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen teilzuhaben und so ihre Lebensumstände zu verbessern – unabhängig vom Wohlwollen der Mehrheitsgesellschaft. „Empowernde Arbeit“ ist darauf ausgerichtet, junge geflüchtete Menschen darin zu unterstützen, ihre Gestaltungsspielräume und Ressourcen wahrzunehmen und individuelle und kollektive Handlungs- und Widerstandsstrategien zu entwickeln. Eine zentrale Bedeutung kommt hierbei dem Bereitstellen von Schutzräumen zu. Junge Menschen können so die Möglichkeit erhalten, in einem geschützteren Raum über geteilte Erfahrungen zu sprechen, Widerstandsstrategien zu erproben, Trost, Verständnis und gegenseitige Unterstützung zu erleben. Empowerment-Angebote im Kontext psychosozialer Versorgung fokussieren nicht immer Diskriminierungserfahrung und die gesellschaftlichen Machtverhältnisse wie es im politisch geprägten Begriff des Empowerment angelegt ist, häufig geht es hier erst einmal darum, Räume der geteilten Erfahrung zu schaffen und Resilienz stärken. Idealerweise verbinden Empowerment-Angebote für junge Geflüchtete die gegenseitige Stärkung beim Erleben eines psychischen Leidens und Diskriminierung und die Entwicklung kollektiver Handlungsmacht, um auf die Gesellschaft und erlebte Machtverhältnisse einzuwirken. Die Arbeitshilfe Trauma, Empowerment und Solidarität. Wie können wir zu einem verantwortungsvollen und ermächtigenden Umgang mit Trauma beitragen? der BAfF e.V. liefert auch hier hilfreiche Ansatzpunkte.

Zugang zu therapeutischen Angeboten für junge geflüchtete Menschen

Rechtsgrundlage, Kostenträger und Voraussetzungen für die Finanzierung von Therapien für junge geflüchtete Menschen hängen von mehreren Faktoren ab. Entscheidend ist u.a., ob die Person im Rahmen der Kinder-und Jugendhilfe untergebracht ist oder ob sie als begleitete*r Minderjährige*r bzw. alleine eingereiste*r Volljährige*r zunächst unter das Asylbewerberleistungsgesetzt fällt. Die gemeinsame Arbeitshilfe von BumF e.V. und BAfF e.V. bietet hierzu Orientierung.  Unabhängig vom Rechtsanspruch ergeben sich in der Praxis ergeben sich zahlreiche Probleme. Noch immer enthalten auch Unbegleitete, die im Rahmen der Kinder-und Jugendhilfe untergebracht sind, entgegen der gesetzlichen Vorgaben über sehr lange Zeiträume lediglich Behandlungsscheine, welche eine therapeutische Behandlung nahezu unmöglich machen. Die bürokratischen Prozesse zur Anerkennung der Kosten nehmen häufig sehr viel Zeit in Anspruch. Die Wartezeiten für therapeutische Angebote – wenn vor Ort überhaupt welche vorhanden sind – sind ebenfalls meist sehr lang. Auch scheitern Behandlungen immer wieder daran, dass Entweder seitens des medizinischen Personals nicht die Bereitschaft besteht, mit Sprachmittlung zu arbeiten oder Sprachmittlungskosten nicht übernommen werden. Ferner mangelt es oft an der nötigen Trauma-und/oder Kultursensibilität. Die Psychosozialen Zentren bieten hier mit ihren auf die Bedarfe geflüchteter Menschen hin konzipierten Angeboten eine Alternative und bieten Leistungen, die denjenigen offenstehen, die von der Regelversorgung exkludiert werden. Hier finden Sie eine Übersicht aller PSZ in Deutschland.

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Die aufenthaltsrechtliche Dimension mentaler Gesundheit

Es gilt vor allem zwei aufenthaltsrechtliche Dimensionen mentaler Gesundheit in der Arbeit mit jungen Geflüchteten zu berücksichtigen: Eine traumasensible Asylantrags-und Anhörungsvorbereitung und die Prüfung, ob psychische Erkrankungen ein Abschiebungsverbote oder Abschiebehindernis darstellen.  In Hinblick auf das Asylverfahren ist gemeinsam mit den jungen Menschen zu eruieren, ob die persönliche Situation die Stellung eines Asylantrags zum jeweiligen Zeitpunkt zulässt (Mehr zum rechtlichen Hintergrund: Hinweise zur Umsetzung von § 42 Abs. 2 Satz 5 SGB VIII – Verpflichtung der Jugendämter zur Asylantragstellung). Kinder und Jugendliche können im Herkunftsland und auf der Flucht Erfahrungen gemacht haben, die sie stark belasten. Sie haben ggf. zur Folge, dass Minderjährige nicht in der Lage sind, über die Fluchtgründe zu sprechen oder die dazu führen, dass sie Erlebtes ausklammern. Wird dies erst in der Anhörung oder danach festgestellt, kann dies erhebliche negative Folgen für das Asylverfahren haben. Der gesamte Asylantragsprozess und die Anhörungssituation sollten daher ausführlich und sensibel mit der betroffenen Person besprochen werden.

Ebenso können psychische Erkrankungen im Asylverfahren ein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen begründen oder bei drohender Abschiebung ein Abschiebehindernis darstellen. Die Voraussetzungen hierfür sind hoch und komplex. Es ist ratsam, in diesen Fällen (anwaltliche)Beratung einzuholen.

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Förderung

Erstellt im Rahmen des Projektes „bedarfs.gerecht“, finanziert durch den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU.

 

 

Stand März 2024

Meldungen
Der September-Newsletter ist erschienen!
27.09.2024

Der aktuelle Newsletter des Bundesfachverbands umF für September 2024 ist erschienen! Darin sind folgende Themen enthalten: erste Beratungsanfragen zur neuen Dienstanweisung des BAMF; ein Aufruf, die Flucht-Gender-Datenbank mitzugestalten; Informationen zur Kampagne "Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte verteidigen"; zwei Veranstaltungsankündigungen und eine Pressemitteilung des Bundesfachverbands zum 70. Weltkindertag.

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Jetzt mitmachen: Online-Umfrage von UNICEF und BumF zur Situation junger Geflüchteter
11.09.2024

UNICEF Deutschland und der Bundesfachverband umF e.V. bitten um Mithilfe! Die beiden Organisationen haben eine Online-Umfrage gestartet, um den Zugang von geflüchteten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zur Kinder- und Jugendhilfe in Unterkünften für geflüchtete Menschen zu untersuchen. Die Umfrage hat das Ziel, Stimmen aus der Praxis zu sammeln, und richtet sich an Fachkräfte, die in Sammelunterkünften, Beratungsstellen und Jugendämtern tätig sind.

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Veranstaltungsreihe für ehrenamtliche Vormundschaft
06.06.2024
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Vergleichende Tabelle zu Standardabsenkungen in den Bundesländern
22.02.2024
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Material

Dürfen unbegleitete Minderjährige überhaupt abgeschoben werden? Was sind die Anforderungen an Behörden bei einer Abschiebung? Darf der Vormund bei einem Termin bei der Ausländerbehörde weggeschickt werden? Darf sich die Polizei zum Zweck der Abschiebung Zutritt zu einer Jugendhilfeeinrichtung verschaffen? Wie können sich die Jugendlichen und die betreuenden Fachkräfte wehren? Welche Besonderheiten gelten bei jungen Volljährigen? Zur Klärung dieser und vieler weiterer Fragen soll die neue Arbeitshilfe einen Beitrag leisten.

(März 2019)

Wie können Therapien für unbegleitete und begleitete geflüchtete Kinder und Jugendliche beantragt werden? Der BumF hat zusammen mit der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) eine Arbeitshilfe mit Tipps und Hinweisen zu Kostenübernahme, Antragsverfahren und rechtlichen Grundlagen dazu erstellt.

(Februar 2017)

Der Bundesfachverband umF hat auch für das Jahr 2021 eine Online-Umfrage unter Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe zur Situation junger geflüchteter Menschen durchgeführt. Neben der Situation der unbegleiteten Minderjährigen und jungen Erwachsenen wurde auch die Einschätzung der Fachkräfte zur Situation von Jugendlichen in Familienbegleitung und zu Heranwachsenden abgefragt.

(Juni 2022)

 

Seit dem 29. Juli 2017 sind die Jugendämter während der Inobhutnahme von unbegleiteten Minderjährigen in bestimmten Fällen zur unverzüglichen Asylantragstellung verpflichtet. Diese Pflicht setzt allerdings voraus, dass in einer asylrechtlichen Einzelfallprüfung gemeinsam mit dem Kind/Jugendlichen ermittelt wurde, dass die Voraussetzungen für die Asylantragstellung vorliegen sowie dass die persönliche Situation des Kindes/Jugendlichen die Stellung des Asylantrags zu diesem Zeitpunkt zulässt. Das Kind/der Jugendliche ist zwingend an dieser Entscheidung zu beteiligen. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, besteht nach § 42 Abs. 2 Satz 5 SGB VIII keine Pflicht des Jugendamtes (ASD) zur unverzüglichen Asylantragstellung. In dieser Arbeitshilfe wird deutliche welche Schritte notwendig sind und warum pauschale Asylantragstellungen ohne Einzelfallprüfung vor diesem Hintergrund unzulässig sind.

(Oktober 2017)