Zahlreiche Übergänge bzw. Veränderungen entstehen mit dem Erreichen der formalen Volljährigkeit.
- Die Vormundschaft endet.
- Der Anspruch auf Nachzug der Eltern erlischt, wenn er nicht rechtzeitig geltend gemacht wurde.
- Im aufenthaltsrechtlichen Verfahren fallen Schutzvorgaben weg, die bislang vor Abschiebung schützten.
- Die Verfahrensfähigkeit im asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren tritt ein.
Zusätzlich zu den ohnehin bestehenden zahlreichen Brüchen im jungen Erwachsenenalter haben junge Geflüchtete häufig trotz vergleichsweise geringerer Ressourcen und zusätzlichen Barrieren mit weiteren Belastungen umzugehen. In manchen Fällen bedeutet das Ende der Jugendhilfe den Umzug in eine Gemeinschafts-, Flüchtlings- oder sogar eine Obdachlosenunterkunft.
Soweit der junge Mensch mit 18 Jahren um Hilfe und Unterstützung bittet, ist die Jugendhilfe hier in der Verantwortung. Ein besonderes Antragserfordernis sowie konkrete Anforderungen, wie etwa eine bestimmte Mitwirkungspflicht, an die Bedarfsgeltendmachung setzt die Gewährung von Hilfe nicht voraus.
Mit der Reform des SGBVIII vom 10.6.2021 hat der Gesetzgeber die Jugendhilfe für über 18-Jährige nochmal gestärkt. Die Hilfe ist gem. § 41 Abs. 1 SGB VIII zu gewähren:
(…) wenn und solange ihre Persönlichkeitsentwicklung eine selbstbestimmte, eigenverantwortliche und selbständige Lebensführung nicht gewährleistet. (§41 SGBVIII)
Damit ändert sich die Perspektive: wurde bisher darauf abgestellt, ob die weitere Hilfe die Entwicklung fördert (und dies bei Zweifeln grundsätzlich als negativ prognostiziert), geht es nun darum, ob durch eine Beendigung der Hilfe die Verselbständigung eines jungen Menschen aufgrund der Lebensumstände in Gefahr ist. Zweifel in der Beurteilung der künftigen Entwicklung müssen dann zu einer Fortführung der Hilfen führen.
Die Jugendhilfe hält ein breites Angebotsspektrum bereit, um auch junge Volljährige bedarfsgerecht zu unterstützen. Ab Vollendung des 18. Lebensjahres ist die Rechtsgrundlage der § 41 SGB VIII, alle Unterstützungsleistungen aus dem vierten Abschnitt kommen auch für junge Volljährige in Frage. Welche Hilfe in Betracht kommt, hängt vom konkreten Bedarf und den Voraussetzungen im Einzelfall ab. Vielfach schließt sich an die Hilfe zur Erziehung die Hilfe für junge Volljährige an, da sie als Regelrechtsanspruch und Fortsetzungshilfe konzipiert ist. Die Ausgestaltung der Hilfe für junge Volljährige sieht unterschiedliche Unterstützungsformen vor. Diese reichen von der Unterbringung in Wohngruppen (§ 34 SGB VIII), der intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung (§ 35 SGB VIII) bis hin zu ambulanten Hilfen (§ 30 SGB VIII). Die Krankenhilfe wird hierbei umfänglich sichergestellt (§ 40 SGB VIII). [2]siehe auch hier
Nach Beendigung der stationären Jugendhilfe erhalten die jungen Menschen, abhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, dem SGB XII oder SGB II. Die Sicherstellung des Lebensunterhalts führt in der Praxis oft zu großen Herausforderungen bis hin zu erzwungenen Ausbildungsabbrüchen, da hier z.T. erhebliche Versorgungslücken entstehen. Insbesondere bei Azubis, Schüler*innen und Studierenden muss frühzeitig geklärt werden, ob ein Bedarf auf BAB/ BAföG besteht. Kindergeld, Wohngeld, Härtefallanträge, Darlehen durch Jobcenter oder Sozialämter oder Stipendien können Alternativen darstellen.
Auch hier hat der Gesetzgeber in der Reform des SGBVIII Veränderungen erwirkt: gemäß §41 Abs. 3 SGBVIII in Verbindung mit §36Abs.1 SGBVIII muss bereits ein Jahr vor geplantem Hilfeende der Übergang geplant werden und die konkrete Zuständigkeit geprüft und vorbereitet werden. Dies liegt in der Hand des Jugendamtes, leider fehlt die gesetzlich vorgeschriebene Verpflichtung zur Zusammenarbeit auf der Seite der anderen Sozialleistungsträger. Da bei UM je nach Aufenthaltstitel unterschiedliche Sozialleistungsträger (AsylblG oder SGBII) in Frage kommen und sich gerade in der Zeit nach dem 18. Geburtstag der Aufenthaltstitel ändern kann, bleibt abzuwarten, wie die Praxis zu dieser Regelung aussieht.
Damit Jugendliche Gehör finden. Spenden Sie für eine starke Stimme für junge Geflüchtete.
jetzt unterstützenMacht der/die Betroffene einen Hilfebedarf im Hinblick auf die eigenverantwortliche Lebensführung und die Persönlichkeitsentwicklung geltend, ist Hilfe für junge Volljährige zu gewähren. Diese hat Vorrang vor allen anderen Unterstützungsformen, schließt ergänzend weitere Hilfen jedoch nicht aus. Das Gesetz geht davon aus, dass bei jungen Menschen in der Regel ein über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinausgehender Bedarf besteht. Die Beweislast, darzulegen, dass im Einzelfall dieser Bedarf nicht besteht, liegt bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres beim örtlich zuständigen Jugendamt.
Der junge Mensch ist ab dem vollendeten 18. Lebensjahr selbst Anspruchsinhaber*in – unabhängig von ihrem/ seinem Volljährigkeitsalter nach Heimatrecht – und hat Anspruch auf geeignete und bedarfsgerechte Unterstützung, sowohl stationär als auch ambulant. Dieser Anspruch erstreckt sich auch auf junge Volljährige, die nach Vollendung des 18. Lebensjahres erstmalig einen solchen Bedarf geltend machen, weil sie etwa bei Einreise bereits volljährig waren.
Er/Sie muss deshalb selbst den Unterstützungsbedarf geltend machen. Zwar dürfte auch hier ein schriftlicher Antrag keine Voraussetzung sein, einen solchen zu stellen, ist in der Praxis aber schon aus Beweiszwecken zu empfehlen. In diesem beantragt er/sie einige Monate vor dem 18. Geburtstag eigenständig – aber gemeinsam mit dem/der Vormund*in oder Betreuer*in – eine Hilfeverlängerung gem. § 41 SGB VIII. Obwohl der junge Mensch auch keiner (detaillierten) Begründungspflicht unterliegt, hat sich in der Praxis gezeigt, dass es empfehlenswert ist, in dem Antrag darzulegen warum und in welchen Lebensbereichen Unterstützung zur Persönlichkeitsentwicklung und zur eigenverantwortlichen Lebensführung aus der Sicht der jungen Menschen benötigt wird. Es ist zudem hilfreich, dem Antrag eine schriftliche Stellungnahme des/der verantwortlichen Betreuer*in beizufügen, die den Hilfebedarf aus fachlicher Sicht der betreuenden Einrichtung darlegt. Hier sind die betreuenden Fachkräfte in der Verantwortung alles beizusteuern, was für eine Hilfebegründung erforderlich ist. Gutachten oder Perspektiven von Ärzt*innen, Therapeut*innen, Schulpädagog*innen oder anderen Bezugspersonen sind hilfreich, um das Bild zu vervollständigen oder einzelne Bedarfslagen zu klären.
Gründe für die Verlängerung von Hilfen sollten unbedingt frühzeitig mitgedacht und im Rahmen der Hilfeplangespräche mit dem örtlich zuständigen Jugendamt dargelegt, erörtert und dokumentiert werden. Die Bedarfsermittlung- und Begleitung ist dabei als partizipativer Aushandlungsprozess zwischen Leistungsberechtigten, Leistungsempfängern und Fachkräften zu verstehen.
Der Anspruch auf Hilfe für junge Volljährige gilt bis zum 21. Lebensjahr. Liegt ein darüberhinausgehender Unterstützungsbedarf vor, kann die Hilfe bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres verlängert werden. Dann muss der junge Mensch diesen Bedarf allerdings darlegen und begründen. Die Beweislast für das Bestehen eines solchen Bedarfs liegt nun auf Seiten des jungen Menschen.
Auch der Nachbetreuungsanspruch der jungen Menschen wurde vom Gesetzgeber nochmals bekräftigt. Um eine abrupte Hilfebeendigung zu vermeiden, wenn kein Bedarf mehr vorliegt, und den Übergang zu gestalten, sieht die Jugendhilfe selbst eine sukzessive Übergangsgestaltung in Form der Nachbetreuung vor (§41a SGB VIII). Diese Hilfe ist ebenfalls als Regelrechtsanspruch ausgestaltet, kann also bei Bedarf nur im Ausnahmefall verweigert werden. Damit soll so vermieden werden, dass junge Menschen von einem auf den anderen Tag auf sich selbst gestellt sind. Nachbetreuung ist so lange zu gewähren, wie sie notwendig ist. Die Jugendhilfe übt dabei zudem eine Brückenfunktion aus, in dem auch der Übergang in andere Unterstützungssysteme immanenter Teil der Hilfe ist. Dabei reicht es nicht aus, die jungen Menschen bei Beendigung der Hilfe z.B. mit einer Adressliste auszustatten. Vielmehr muss die Jugendhilfe die jungen Menschen aktiv begleiten und den Weg für einen reibungslosen Übergang bereiten, um Versorgungslücken zu vermeiden. Der angemessene Zeitraum und der notwendige Umfang der Hilfe im Rahmen der Nachbetreuung sollen dokumentiert und regelmäßig überprüft werden. Die Pflicht zur Kontaktaufnahme mit dem Jugendlichen liegt beim Jugendamt.
Die regional sehr unterschiedliche Gewährungspraxis der Hilfen ist Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels von Urteilsmustern der Fachkräfte, individuellen Bedarfslagen und Sachzwängen. Erfolgt keine individuell begründete Ablehnung aufgrund eines fehlenden Bedarfs, gibt es verschiedene Möglichkeiten für die/den Betroffene/n:
Um zu einvernehmlichen Lösungen mit dem Jugendamt zu gelangen, sind die unabhängigen Ombudschaftsstellen der Kinder- und Jugendhilfe kompetente Ansprechpartner. Dies muss allerdings rechtzeitig in die Wege geleitet werden. Manche Ombudschaftsstellen unterstützen und begleiten auch im Rahmen von Widerspruchs- und Klageverfahren. Ob vor Ort eine Ombudschaftsstelle tätig ist, bei welchen Streitigkeiten Unterstützung geleistet wird und wie sich das konkrete Verfahren gestaltet, erfahren Sie über die Homepage des Bundesnetzwerks Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe e.V.
Gegen die Verwehrung weiterer Hilfe kann und sollte, falls nichts Anderes zielführend ist, mit Rechtsmitteln vorgegangen werden. Die Gewährung oder Ablehnung von beantragten Hilfen erfolgt mit einem Verwaltungsakt (§ 31 SGB X). Gegen diesen Verwaltungsakt kann sich der/die Anspruchsinhaber/in mittels Widerspruch – je nach Landesrecht – und Klage beim örtlichen Verwaltungsgericht wehren. Es besteht kein Anwaltszwang (§ 67 VwGO), Gerichtskosten entstehen keine (§ 188 VwGO) und die Klage kann bei Gericht zu Protokoll einer Urkundsbeamt*in der Geschäftsstelle erhoben werden (§ 81 VwGO). Sie ist als sog. Verpflichtungsklage darauf ausgerichtet, das Jugendamt durch das Gericht zu verpflichten, die begehrte Handlung vorzunehmen (§ 42 VwGO). Steht die Volljährigkeit kurz bevor, muss zusätzlich ein Eilantrag bei Gericht eingereicht werden (§ 123 VwGO).
Ein zentrales Ergebnis der Care Leaver-Forschung ist, dass mehrere zeitgleiche Übergänge unbedingt zu vermeiden sind. Übergänge von Schule in Ausbildung, aus der Jugendhilfeeinrichtung in eine eigene Wohnung oder aufenthaltsrechtliche Übergänge in fragile rechtliche Situationen begründen jeweils einen umfangreichen Unterstützungsbedarf.
Die Notwendigkeit der konzeptionellen Gestaltung und Vorbereitung des Übergangs aus der Jugendhilfe heraus als ein zentraler Moment in der Jugendhilfeplanung, ist daher umso wichtiger. Dennoch gibt es bundesweit noch zu wenig konzeptionelle Ausgestaltung des Hilfeendes und des zu Grunde liegenden Verständnisses von Selbstständigkeit als ein Prozess des Erwachsenwerdens.
Erstellt im Rahmen des Projektes Vom Willkommen zum Ankommen . Das Projekt wird gefördert aus Mitteln des Asyl, Migrations- und Flüchtlingsfonds.
Stand März 2022