Kinder und Jugendliche sind aktiv handelnde Menschen mit vielfältigen Ressourcen und eigenen Rechten. Auch wenn geflüchtete Kinder und Jugendliche besonders schutzbedürftig sind, dürfen sie dabei nicht in eine passive Rolle gedrängt werden. Ein wichtiges Ziel ist es daher, junge Menschen so zu befähigen, dass sie mitgestalten können. Die Selbstorganisation „Jugendliche ohne Grenzen“ ist hier eines der Positivbeispiele. Doch das allein reicht nicht, denn Partizipation ist ein zweiseitiger Prozess und hängt stark mit der Machtverteilung zwischen Erwachsenen und Minderjährigen zusammen. Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist zudem eine rechtlich verankerte Pflicht für Behörden, Gerichte und Träger.
Meldungen
Brandbrief: Gegen rechte Ideologien und für gleiche Menschenwürde
21.03.2024

Die jüngsten Gesetzesverschärfungen im Asyl- und Einbürgerungsrecht verletzen die körperliche Unversehrtheit und Demokratiefähigkeit von Geflüchteten und Migrant*innen mit Behinderungen. Besonders dramatisch ist die auffallend hohe Zahl von geflüchteten Kindern mit Behinderungen, die nun 3 Jahre lang einer eklatanten Unterversorgung ausgesetzt sind. Die Selbstvertretungsorganisation Berliner Zentrum für Selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen e. V. (BZSL/BNS) hat daraufhin einen bundesweiten Brandbrief initiiert, der von 190 Fachverbänden und 80 Einzelpersonen unterzeichnet wurde.

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Die neue Folge vom BumF Podcast ist online!
25.01.2024

In dieser Folge geht es um Beteiligung am Hilfeplanverfahren, wenn es darum geht, Unterstützung für junge Volljährige zu erhalten. Durch verschiedene Perspektiven auf dieses Verwaltungsverfahren wird aufgezeigt, welche Herausforderungen es in der Praxis gibt.

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Stellenausschreibung: Referent*in im Projekt "Netzwerk geflüchtete Mädchen und junge Frauen"
13.12.2023
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Bundesweite BumF-Onlineumfrage geht am 09.11. an den Start.
30.10.2023
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Unsere Datenbank www.flucht-gender.de ist ab sofort in 5 verschiedenen Sprachen verfügbar!
19.10.2023
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Hintergrund
Partizipation in der Jugendhilfe

Partizipation wird häufig mit Begriffen wie Beteiligung, Teilhabe, Mitbestimmung oder Mitwirkung umschrieben. Diese Definitionen greifen allerdings vielfach zu kurz, denn sie fordern lediglich das Einbeziehen der jungen Menschen in Entscheidungsprozesse, nicht aber das aktive Mitgestalten und somit das Übertragen von Entscheidungsmacht.

Doch woran lässt sich Partizipation in der Kinder- und Jugendhilfe festmachen und inwieweit haben junge Menschen tatsächlich Möglichkeiten der Einflussnahme bzw. an welchem Punkt werden diese im Hilfeprozess eröffnet? Beispiele der einfachen Einbeziehung sind hier etwa Abstimmungen darüber wohin ein Gruppenausflug, eine Reise oder Aktivität unternommen werden soll, die sich lediglich darauf beschränken zwischen den Vorschlägen zu wählen, aber keine Möglichkeiten der Einflussnahme von Anfang bis Ende bieten.

Der Erfolg von Gruppenaktivitäten, Abenden oder Vollversammlungen hängt wesentlich davon ab, ob die Adressat/innen die Möglichkeit haben, Inhalte und Themen im Voraus gemeinsam festzulegen und den Abend mitzugestalten oder ob er nur zur Informationsweitergabe der Betreuer/innen an die Kinder und Jugendlichen dient. Kinder und Jugendliche müssen die Möglichkeit haben mitzuentscheiden und Verantwortung zu übernehmen. Ansonsten wird bspw. ein Gruppenabend nicht als echtes Beteiligungsinstrument, sondern als lästige Pflichtveranstaltung erlebt.

Auch das Hilfeplanverfahren, das als partizipatives Moment in der Kinder- und Jugendhilfe angelegt ist (§ 36 SGB VIII), kann zur Schein-Teilhabe werden, wenn die junge Menschen nicht über ihre Rechte, Pflichten und Möglichkeiten in diesem Verfahren aufgeklärt werden. Das Fehlen einer notwendigen Sprachmittlung bei den Gesprächen verstärkt das Informationsdefizit und verhindert in Folge dessen die Möglichkeiten der Beteiligung.

Gerade junge Geflüchtete werden bereits aufgrund ihrer rechtlichen Situation von gesellschaftlichen Prozessen ausgeschlossen. So formuliert auch der 15. Kinder- und Jugendbericht, dass

das Leben von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die in den letzten Jahren in Deutschland Schutz vor Krieg, Gewalt und Verfolgung oder vor ökonomischer Ausweglosigkeit gesucht haben, grundsätzlich durch rechtliche und soziale Zukunftsunsicherheit gekennzeichnet [ist]. Die Zugehörigkeit zu unserer Gesellschaft bleibt für sie vielfach prekär, und ihre Teilhabechancen werden rechtlich immer wieder eingeschränkt und begrenzt […]. Dies gilt für den Zugang zu Bildungsinstitutionen im Kontext von Qualifizierungsprozessen ebenso wie für Aspekte der Selbstpositionierung und der Verselbstständigung.

(BMFSFJ: 15. Kinder- und Jugendbericht (2017), S. 467.)

Junge Geflüchtete befinden sich somit in einem extremen Spannungsverhältnis mit widersprüchlichen Erwartungen: Während die Kinder- und Jugendhilfe Eigenverantwortlichkeit erwartet und stärkt, wirken Restriktionen des Asyl- und Aufenthaltsrechts etwa durch lange Verfahrenszeiten und rechtliche Unsicherheit destabilisierend auf eine selbstbestimmte Alltagsgestaltung und Zukunftsplanung ein. Dieses Dilemma kann nur durch Transparenz, das Wissen um eigene Rechte und tatsächlich gelebte Teilhabe aufgelöst werden, damit junge Menschen erleben, dass sie Gefühle von Ohnmacht überwinden können.

Gerade auch durch die Reform des SGBVIII zum KJSG (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz) wird die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen nochmals mehr gestärkt, Beschwerdemöglichkeiten sollen ausgebaut werden und Kinder und Jugendliche in Prozesse stärker eingebunden.

Ein Rechtsanspruch auf Beteiligung

Der Rechtsanspruch auf Beteiligung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen ist durch die UN-Kinderrechtskonvention auf internationaler Ebene (Artikel 12-15 und 17 UN-Kinderrechtskonvention), durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) auf Bundesebene (§ 8 SGB VIII) und zusätzlich auch durch die Ausführungsgesetze zum Kinder- und Jugendhilfegesetz auf Landesebene geregelt.

Kinder und Jugendliche sind entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen.

(§ 8 Abs.1 SGB VIII)

Die Beteiligung junger Menschen bspw. in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe ist also keine freiwillige Leistung, die vom guten Willen der jeweiligen Fachkraft abhängt, sondern eine gesetzliche Vorgabe, zu deren Umsetzung Träger, Einrichtungen und Fachkräfte verpflichtet sind.

Kinder und Jugendliche in Gemeinschaftsunterkünften

Während für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Partizipation im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe vorgeschrieben ist, stellt Partizipation für Kinder- und Jugendliche, die mit ihren Familien in Gemeinschaftsunterkünften leben, eine große Leerstelle dar. Beteiligung im Alltag wird diesen Kindern und Jugendlichen auch durch strukturell bedingte Zugangsbarrieren zu kommunalen Regelangeboten sowie durch gesetzliche Rahmenbedingungen auf nationaler und europäischer Ebene erschwert. Dies kann sich negativ auf den Zugang zu Kita, Schule, Ausbildung, Freizeitangebote und/oder Jugendhilfe auswirken. Beteiligungsmöglichkeiten zu schaffen, die diese Kinder und Jugendlichen als gesellschaftliche Akteur/innen ernst nimmt, anstatt Sonderangebote für Geflüchtete zu etablieren, sollte daher vorrangiges Ziel sein.

Details zum Thema finden Sie auf unserer Themenseite Begleitete Minderjährige

Beschwerdeverfahren

Eine besondere Bedeutung im Rahmen der Umsetzung von Partizipationsansätzen kommt einem internen Beschwerdemanagement sowie unabhängigen Beschwerdemöglichkeiten und -verfahren zu. Beschwerden haben eine dreifache Funktion: Sie sind ein gutes Ventil, um Frust und Ärger abzubauen, bieten die Chance etwas über die Rechte und Pflichten sowohl auf Seiten der Fachkräfte als auch der Kinder und Jugendlichen zu lernen und sind ein gutes Mittel, um bestehende Probleme zu lösen. Das Beschwerdemanagement ist als wesentlicher Bestandteil des Qualitätsmanagements eines Trägers bzw. einer Einrichtung seitens der Leitung bzw. der QM-Beauftragten sicherzustellen.

Die Beschwerdemöglichkeiten sind gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen zu entwickeln. Bei der Aufnahme in die Einrichtung sind bestehende Möglichkeiten vorzustellen und als Infomaterial, im besten Fall auf ihre Muttersprache übersetzt, auszuhändigen. Es gibt verschiedene kind- und jugendgerechte Möglichkeiten (Kummerkasten, Sprechstunde, Gruppenabend, Beschwerdeplattform im Intranet, telefonisches Beschwerdemanagement, etc.) und Verfahren, um sich innerhalb der Einrichtung effektiv zu beschweren bzw. Anregungen geben zu können. Dasselbe gilt für Beschwerden außerhalb der Einrichtung, zum Beispiel in Bezug auf die Vormundschaft, das Jugendamt oder die Heimaufsicht sowie das Wissen um die Ombud- und Beschwerdestellen der Jugendhilfe. Diese verschiedenen Möglichkeiten sollten auf einem Flyer oder Plakat visualisiert und gut sichtbar in der Einrichtung aufgehängt werden. Es gilt, die Beschwerdemöglichkeiten regelmäßig gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen weiterzuentwickeln.

Selbstorganisation & politische Beteiligung

Die Selbstorganisation junger Geflüchteter ist ein stark befähigendes Moment, in dem es nicht allein um die Politisierung von Jugendlichen geht. Durch den Austausch in der Gruppe werden individuelle Gefühle der Ohnmacht als kollektive Erfahrung kontextualisierbar. Partizipation junger Menschen geht weit über die Beteiligung in Jugendhilfeeinrichtungen oder Gemeinschaftsunterkünften hinaus, denn viele Probleme von jungen Geflüchteten haben ihre Ursache in politischen Entscheidungen. Das Wissen um die eigenen Rechte hilft, Momente der Handlungsunfähigkeit zu durchbrechen sowie Partizipation und aktive Teilhabe zu fördern. Beispiele hierfür sind die beiden selbstorganisierten Netzwerke Jugendliche ohne Grenzen und der Care Leaver e.V.

Jugendliche ohne Grenzen ist ein selbstorganisierter, bundesweiter Zusammenschluss, der sich für die Rechte von jugendlichen Geflüchteten einsetzt. Seine Arbeit folgt dem Grundsatz, dass Betroffene eine eigene Stimme haben und keine stellvertretende Betroffenen-Politik benötigen.“ Die Jugendlichen schaffen sich selbst eine Plattform des Austauschs untereinander und tragen ihre Bedarfe und Forderungen in Form von Kampagnen, Konferenzen und kreativen Aktionen in die Politik und Öffentlichkeit.

Zur Website von Jugendliche ohne Grenzen

 

Im Care Leaver e.V. organisieren sich bundesweit junge Menschen, die für ihre Interessen und Belange einstehen und diese auch auf politischer Ebene vertreten. Sie machen auf ihre problembelastete Situation aufmerksam und versuchen durch Kooperationen und Sensibilisierung, die Wege von Care Leavern [1] in ein eigenständiges Leben zu erleichtern, um ihre Lebensgestaltung selbstbewusst und nach den jeweiligen Potentialen umsetzen zu können. Das Careleaver Kompetenznetz unterstützt bundesweit die Gründung neuer lokaler Netzwerke.

Zur Website vom Care Leaver e.V.

 

[1] Der Begriff stammt vom Englischen Ausdruck „leaving care“ (die Hilfe verlassen). Er hat sich auch im deutschen Sprachgebrauch durchgesetzt. Als Care Leaver werden junge Menschen bezeichnet, die einen Teil ihres Lebens in stationären Hilfeformen verbracht haben bzw. kurz davor sind das Hilfesetting zu verlassen.

 

Förderung

Erstellt im Rahmen des Projektes „Gut ankommen – Fachkräfte qualifizieren“. Dieses Projekt wird aus Mittel aus dem Asyl-, Migrations- und Flüchtlingsfonds kofinanziert.

Stand: Dezember 2021

Materialien

In dieser Broschüre, die gemeinsam mit Jugendlichen erarbeitet wurde, werden die Rechte von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen kindgerecht dargestellt. Mit welchen Behörden, Ämtern und Organisationen habe ich es zu tun? Was passiert alles in der ersten Zeit? Wer kümmert sich um mich? Und vor allem: Welche Rechte gibt es? Dies und vieles mehr erfahren junge Flüchtlinge in der Broschüre.

Dies ist die deutsche Version der Broschüre, eine Übersicht aller Sprachen finden Sie hier.

(Februar 2017)

Junge Geflüchtete, die gemeinsam mit ihren Familien nach Deutschland gekommen sind, finden in dieser Broschüre wichtige Informationen zu ihrer ersten Zeit in Deutschland:

Welche Rechte haben Jugendliche in Deutschland und wie kann man diese durchsetzen? Was ist Diskriminierung und was kann man dagegen tun? Welche Perspektiven und Möglichkeiten gibt es für Schule, Ausbildung, Studium und Beruf? Wo und wie können junge Geflüchtete und ihre Familien Unterstützung, Hilfe und Beratung finden? Welche Perspektiven gibt es für den Aufenthalt und die Familienzusammenführung? Und was ist, wenn jemand aus der Familie krank wird?

(Juli 2018)