Zum 1.1.2023 wird die sogenannte “große Vormundschaftsreform” in Kraft treten. Es ist die umfassendste Änderung des Vormundschaftsrechtes, welches zu einem großen Teil noch aus dem Jahr 1896 (Entstehungszeit des BGB) stammt.
Hierbei wird das Vormundschaftsrecht neu gegliedert und unter anderem folgende Kernpunkte verändert:
- Einführung von Rechten der Kinder und Jugendlichen in Bezug auf die Vormundschaft (§1788 BGB nF)
- dazu korrespondierende Pflichten des Vormunds und genauer definierte persönliche Verantwortung (§1790 BGB nF)
- alleiniger Vorrang der ehrenamtlichen Vormundschaft
- neue Möglichkeiten, das Sorgerecht zwischen mehreren Personen aufzuteilen (zB Pflegeeltern und Vormund)
Insgesamt werden Kinderrechte gestärkt.
Genauere Ausführungen zur Veränderung für den Bereich der UMF werden wir sukzessive einarbeiten.
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (umF) sind rechtlich nicht geschäftsfähig. Sie werden daher durch eine/n Vormund/in vertreten und unterstützt. Neben den Amtsvormund/innen des Jugendamtes kommen hierfür auch Berufsvormund/innen, Ehrenamtliche Vormund/innen oder Vereinsvormund/innen in Betracht. Vormund/innen kümmern sich um die Person und das Vermögen des/der Minderjährigen und vertreten ihn/sie rechtlich. Sie nehmen alle Aufgaben wahr, die bisher von den Eltern übernommen wurden oder hätten übernommen werden müssen. Sie vertreten die jungen Menschen bspw. im asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren, vor den Jugendämter, sorgen für ihre gesundheitliche Versorgung und kümmern sich um die Bildung. Sie sind außerdem persönliche Ansprechpartner/innen Entwickler/in von Lebensperspektiven, Mitwirkende/r im Hilfeplanverfahren und erste/r Ansprechpartner/in in allen wichtigen Belangen asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren.
Vormünder/innen nehmen eine zentrale Rolle bei der Versorgung und Begleitung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ein. Die Voraussetzungen für die Anordnung der Vormundschaft durch das Familiengericht liegen in der Regel bereits mit Einreise vor. Das Familiengericht hat das Verfahren von Amts wegen einzuleiten, sobald es Kenntnis erhält (§ 1774 BGB). Das Gesetz verpflichtet das Jugendamt erst einen Monat nach Einreise des Minderjährigen das Familiengericht über diesen Sachverhalt zu informieren (§ 42d Abs. 3, § 42 Abs. 3 i.V.m. § 42b Abs. 4 SGB VIII). Im Rahmen der Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII hat das Jugendamt dann aber die Bestellung eines rechtlichen Vertreters unverzüglich, d.h. innerhalb von wenigen (i.d.R. 3) Werktagen, zu veranlassen. [1]
Vorrangig bestellt werden sollen Personen, die die Eltern selbst benannt haben, soweit diese bei Benennung auch das Personensorgerecht innehatten (§§ 1776 ff BGB). Ist dies nicht der Fall bestellt das Familiengericht nach Anhörung des Jugendamtes Privatpersonen als Einzelvormund/innen, wenn diese die Fähigkeit nachweisen können, das Amt im Interesse des jungen Menschen zu führen und nach § 1779 BGB geeignet erscheinen.
Das Gesetz geht im Grundsatz von der Einzelvormundschaften aus, nur in Ausnahmefällen soll ein/e sog. Mitvormund/in bestellt werden (§§ 1775, 1797 BGB). Im Bereich unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden in der Praxis mitunter Rechtsanwält/innen als Mitvormund/innen oder als sog. Ergänzungspfleger/innen bestellt, um die notwendige Sachkunde im Asyl- und Aufenthaltsrecht zu gewährleisten. Diese Praxis ist rechtlich sehr umstritten – der Bundesgerichtshof sieht hierfür keine Rechtsgrundlage. [2]
Steht keine Person zur Verfügung, die aus Sicht des Familiengerichts die konkreten Eignungskriterien erfüllt und die Vormundschaft ehrenamtlich führt, können das Jugendamt zum Amtsvormund, ein Verein zum Vereinsvormund oder ein Berufsvormund bestellt werden. Nach Auffassung aktueller Rechtsprechung stehen diese Vormundschaftsformen bei gleicher Eignung ohne Rangverhältnis nebeneinander. [3] In der Praxis wird allerdings in der Regel, wenn keine geeignete Einzelperson zur Führung der Vormundschaft zur Verfügung steht, das Jugendamt zum Amtsvormund bestellt (§ 1791b BGB).
[1] Unverzügliche Veranlassung der Vormundschaftsanordnung: BVerwG 24.06.1999 -5 C 24/98
[2] Rechtsanwälte als Mitvormünder/Ergänzungspfleger: Dagegen: BGH 13.09.2017-XII ZB 497/16, BGH 29. 5. 2013 – XII ZB 530/11. Dafür: AG Gießen 21.08.2013–249 F 1635/13 VM, 249 F 1717/13 PF; OLG Frankfurt a. M., JAmt 2014, 166; OLG Frankfurt a. M. 28/14, FamRZ 2014, 1128; OLG Bamberg UF 261/14, FamRZ 2015, 682; AG Heidelberg 31 F 67/15, JAmt 2015, 578.
[3] DIJuF-Rechtsgutachten 2016, in JAmt S. 142.
Zu den Pflichten der Vormundschaft im Rahmen der rechtlichen Vertretung sowie der Personensorge für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gehören u.a.: Die Sicherung und Schaffung von Bleiberechtsperspektiven – also vor allem die rechtliche Vertretung im asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren –, die Unterstützung bei der Familienzusammenführung und beim Familiennachzug, die Beantragung erforderlicher Leistungen (bspw. nach SGB VIII), die Gesundheitsfürsorge, die Sicherstellung von Schul- und Ausbildungszugang sowie die Unterstützung beim Spracherwerb.
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jetzt unterstützenWenn Sie eine Vormundschaft übernehmen möchten, können Sie sich an das Jugendamt an Ihrem Wohnort wenden. Denn dieses hat die Aufgabe, Vormund/innen zu gewinnen und zu qualifizieren sowie ihnen beratend zur Seite zu stehen (§ 53 SGB VIII).
In einigen Regionen existieren zudem unterschiedliche Vormundschaftsprojekte für junge Geflüchtete. Auch dort können Sie sich beraten lassen. Ob es Projekte bei Ihnen vor Ort gibt, kann beim örtlichen Jugendamt erfragt werden.
Bevor Sie als ehrenamtliche/r Vormund/in vom Familiengericht tatsächlich bestellt werden können, wird ihre Eignung durch das Familiengericht überprüft. Vorstrafen oder bekanntes kindeswohlgefährdendes Verhalten widersprechen einer Eignung. Die erforderliche Eignung richtet sich nach der konkreten Interessenlage des jungen Menschen sowie den Aufgaben, die während der Vormundschaft zu erledigen sind. Entscheidend in diesem Zusammenhang sind Charakter, Lebensalter, Kenntnisse und Erfahrungen, persönliche Umstände, wie bspw. das religiöse Bekenntnis oder das Geschlecht. Im Zusammenhang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, für deren Zukunftsperspektiven die asyl- und aufenthaltsrechtliche Vertretung zentral ist, ist dies vor allem bei Personen zu bejahen, die eine dahingehende Sachkunde aufweisen, soweit auch die weiteren persönlichen Kriterien erfüllt sind.
Die meisten unbegleiteten Minderjährigen haben einen Amtsvormund, doch es gibt noch weitere Arten der Vormundschaft.
Ehrenamtliche Einzelvormundschaft (§ 1779 BGB)
Die ehrenamtliche Vormundschaft ist gegenüber den anderen Vormundschaftsformen vorrangig. Jede Privatperson kann eine Vormundschaft übernehmen, wenn das Familiengericht von ihrer Eignung überzeugt ist. Vorstrafen oder bekanntes kindeswohlgefährdendes Verhalten widersprechen einer Eignung. Ehrenamtliche Vormund/innen erhalten eine jährliche Aufwandsentschädigung aus der Justizkasse (§ 1835a BGB). Darüber hinaus kann der Ersatz erforderlicher Aufwendungen geltend gemacht werden (§ 1835 BGB). Gegenüber dem Jugendamt besteht ein Beratungs- und Unterstützungsanspruch (§ 53 SGB VIII). Kontrolle und Aufsicht übt das Familiengericht aus (§ 1837 BGB).
Amtsvormundschaft (§ 1791b BGB)
Die Amtsvormundschaft ist die Vormundschaft, die dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe, also dem Jugendamt, übertragen wird, wenn eine geeignete Privatperson nicht zur Verfügung steht. Im Innenverhältnis wird die Ausübung der Tätigkeit einer einzelnen Fachkraft aus dem Fachbereich der Amtsvormundschaft mittels Verwaltungsakt übertragen (§ 55 Abs. 2 SGB VIII). Die Kosten trägt das Jugendamt. Rechtlich ist eine Mündelobergrenze von 50 Mündeln pro Fachkraft festgelegt (§ 55 Abs. 2 SGB VIII). Die Fachkraft ist im Rahmen der Ausübung der Vormundschaft gegenüber dem Anstellungsjugendamt nur eingeschränkt weisungsgebunden, denn sie vertritt das Kind und nicht das Jugendamt (§ 55 Abs. 3 SGB VIII). Sie hat sich bei der Ausübung der Tätigkeit deshalb auch allein an den Interessen des jungen Menschen zu orientieren. Aufsicht und Kontrolle übt auch hier das Familiengericht aus (§ 1837 BGB).
Vereinsvormundschaft (§ 1791a BGB)
Die Vereinsvormundschaft wird in der Regel in Form der – gesetzlich nicht geregelten – persönlichen Vereinsvormundschaft geführt. Die Vereinsvormundschaft ist gegenüber der ehrenamtlichen Vormundschaft nachrangig, es sei denn sie ist von den Eltern ausdrücklich benannt worden. Bei dem Verein muss es sich um einen rechtsfähigen Verein handeln, dem das jeweilige Landesjugendamt die Erlaubnis zur Führung der Vormundschaft erteilt hat (§ 54 SGB VIII). Der Verein muss gegenüber dem Familiengericht seine Einwilligung zur Führung der Vormundschaft erklären. Aufsicht und Kontrolle übt das Familiengericht aus, von der Aufsicht durch das Jugendamt ist der Verein allerdings befreit. Nur der persönlich bestellte Mitarbeiter des Vereins hat einen Vergütungs- und Aufwendungsersatzanspruch aus der Justizkasse (§ 7 VBVG analog). [4]
Berufsvormundschaft
Eine Vormundschaft kann auch als Beruf ausgeübt werden – diese Art der Vormundschaft ist gegenüber der ehrenamtlichen Vormundschaft nachrangig (BT-Drucks. 15/2494, 27). Die Vergütung der Berufsvormundschaft wird über die Justizkasse sichergestellt (§ 7 VBVG). Der Berufsvormund wird im Regelfall wegen seiner spezifischen Fachkompetenz ausgesucht und eignet sich insbesondere für Fälle, in denen aufenthalts- und asylrechtliche Fragen eine große Rolle spielen.
[4] BGH, Beschluss vom 14.03.2007 – XII ZB 148/03.
Die Anordnung der Vormundschaft setzt voraus, dass ein/e Minderjährige/r nicht unter elterlicher Sorge steht oder aber die Eltern zur deren Ausübung nicht berechtigt sind (§ 1773 BGB). Dies liegt z. B. vor, wenn ihnen die elterliche Sorge entzogen oder ruhend gestellt wurde. Das Familiengericht hat die Vormundschaft von Amts wegen anzuordnen (§ 1774 BGB).
Bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, deren Eltern verstorben sind, liegen die Voraussetzungen der Vormundschaft unstrittig vor. Sind die Eltern am Leben und halten sich bspw. noch im Herkunfts- oder einem Transitland auf, liegen die Voraussetzungen der Vormundschaft vor, wenn sie an der tatsächlichen Ausübung der elterlichen Sorge auf längere Zeit verhindert sind. Dann stellt das Familiengericht das Ruhen der elterlichen Sorge fest (§ 1674 BGB). Probleme entstehen in der Praxis bspw. dann, wenn zwischen den Betroffenen Kontakt besteht. So sehen einige Familiengerichte die Voraussetzungen zur Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge nicht als erfüllt an, wenn der/die Minderjährige über die Nutzung moderner Kommunikationsmittel mit seinen/ihren Eltern in Kontakt steht. [5]
Für die Frage, ob die Eltern an der Ausübung der elterlichen Sorge tatsächlich gehindert sind, kommt es allerdings nicht darauf an, ob ein Kontakt zwischen Eltern und Kind besteht, sondern allein darauf, ob die Eltern oder der personensorgeberechtigte Elternteil im Wege der Aufsicht oder durch jederzeitige Übernahme der Personen- und Vermögenssorge zur Verantwortung zurückkehren können. Der Kontakt zu den Eltern muss deshalb derart sein, dass diese auf aktuelle Vorfälle unmittelbar reagieren und dadurch sofortige Entscheidungen zum Wohle des Kindes treffen können sowie erforderliche Eingriffe mit Einverständnis der Eltern vorgenommen werden können. Allgemein anerkannt ist zudem, dass ein Auslandsaufenthalt mit schwierigen Verkehrsverbindungen und/oder politischen Verhältnissen ein tatsächliches Ausübungshindernis darstellt.
[5] Zum Ruhen der elterlichen Sorge: BGH 06.10.2004–XII ZB 80/04, OLG Köln 11.04.1991–Wx 43/91; OLG Brandenburg 21.05.2008–9 UF 53/08; FamRZ 2009, 237
Nach dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen von 1969 (WÜK) ist zwar grundsätzlich der Herkunftsstaat eines Minderjährigen zu benachrichtigen, wenn eine Vormundschaft oder Pflegschaft erforderlich ist. Abweichend hiervon darf die konsularische Vertretung des Herkunftsstaates allerdings nicht benachrichtigt werden, wenn der/die Minderjährige hierdurch einer Gefährdung ausgesetzt würde, was bei umF in der Regel anzunehmen ist. [6] Da die Prüfung einer möglichen Flüchtlingseigenschaft den Asylantrag und damit eine Vormund/inbestellung voraussetzt, kann während des Vormundschaftsverfahrens die Benachrichtigung des Herkunftslandes sogar eine Gefährdung der zurück gebliebenen Familienmitglieder darstellen. Eine Übermittlungsverpflichtung nach dem WÜK im Rahmen eines Vormundschaftsverfahrens bei unbegleiteten Minderjährigen besteht daher nicht.
[6] Rechtsgutachten DIJuF 2016, in JAmt S. 140.
Nein. Das Familiengericht kann die Vormundschaft auch auf ein anderes Jugendamt übertragen, als das örtlich leistungszuständige. Dies kann aufgrund von Kindeswohlerwägungen, etwa die Sicherstellung von Beziehungskontinuität, erfolgen. Das Familiengericht ist nicht an die Vorgaben zur örtlichen Zuständigkeit aus dem SGB VIII gebunden. [7]
[7] LVR/LWL, Handreichung zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Nordrhein-Westfalen 2017, S. 24.
Erstellt im Rahmen des Projektes Vom Willkommen zum Ankommen Das Projekt wird gefördert durch den Asyl-, Migrations- und Flüchtlingsfonds.
Stand: Mai 2022