Den heutigen Internationalen Mädchentag nehmen wir zum Anlass, um unsere Solidarität mit allen geflüchteten Mädchen und jungen Frauen, Lesben, intergeschlechtlichen, nichtbinären, transgeschlechtlichen, und agender Personen (FLINTA*) auszudrücken und unsere Forderungen für deren Schutz, für ein sicheres Wohnumfeld und für einen diskriminierungsfreien Zugang zu Gesundheitsversorgung zu bekräftigen. Täglich setzen sich viele geflüchtete Mädchen und junge FLINTA* kraftvoll für ihre Rechte ein – in einem Kontext, in dem ebendiese Rechte immer stärker bedroht und untergraben werden. Rassistische, sexistische und queerfeindliche Stimmen finden immer mehr Gehör und werden von einer Politik bedient, die die systematische Entrechtung von Menschen vorantreibt und auf Spaltung, Abschottung und Abschiebung setzt. Die Verschärfungen leistungsrechtlicher, migrations- und asylrechtlicher Regelungen betreffen geflüchtete Mädchen und junge FLINTA* im besonderen Maße. In vielen Bereichen sind dringend entschiedene Schritte nötig, um ihren Schutz sicherzustellen, darunter auch die konsequente Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe in der Praxis. Gesundheitsversorgung und Unterbringung sind zentral für die Sicherheit und Würde einer Person, daher heben wir unsere Forderungen zu diesen Bereichen heute hervor.
Gesundheit und Versorgung – Diskriminierung beenden, Zugang ermöglichen!
- Die Eingliederung ins reguläre Sozialleistungssystem und in die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung aller Menschen ab dem Zeitpunkt ihrer Ankunft in Deutschland!
Mit den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, deren Bezugsdauer nun sogar von 18 auf 36 Monate verlängert worden ist, wird Schutz suchenden Menschen nur ein eingeschränkter Zugang zur Gesundheitsversorgung gewährt. Wir fordern den uneingeschränkten Zugang zu Gesundheitsleistungen von Beginn an. Dazu gehört auch der diskriminierungsfreie Zugang zu FLINTA*-spezifischer Gesundheitsversorgung, insbesondere in den Bereichen Gynäkologie, Schwangerschaft und Geburt. Das Recht auf das individuell erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ist ein Menschenrecht, das für alle gilt – unabhängig vom Aufenthaltsstatus.
- Gender- und diskriminierungssensible Gestaltung von Gesundheitsangeboten und Ausbau von Aufklärungs- und Versorgungsangeboten zu sexueller und reproduktiver Gesundheit!
Junge Geflüchtete sind häufig von unzureichender Aufklärung und schlechter Versorgung betroffen, insbesondere wenn es um sexuelle und reproduktive Gesundheit geht. Um die eigenen Rechte selbstbestimmt wahrnehmen zu können, muss man sie kennen und Zugang zu allen nötigen Informationen haben. Dieser Zugang muss nicht nur frei von bürokratischen Hürden, sondern auch frei von Diskriminierung und sensibel für die besonderen Bedürfnisse geflüchteter Mädchen und FLINTA* gestaltet sein – letzteres wurde bisher laut der aktuellen Online-Umfrage des BumF e.V. versäumt. Auch die 2022 durchgeführte Studie des DeZIM kommt zu dem Ergebnis, dass jede dritte rassistisch markierte Person in Deutschland Diskriminierung bei Arztbesuchen erfährt; dies betrifft FLINTA* im besonderen Maße. Wir fordern daher einen Ausbau an gender- und diskriminierungssensiblen Gesundheitsangeboten.
- Flächendeckend bedarfsgerechte psychosoziale und therapeutische Angebote für geflüchtete Mädchen und junge FLINTA* sicherstellen! Viele der jungen Menschen haben massiv belastende Erfahrungen gemacht. Der Zugang zu angemessener psychosozialer und -therapeutischer Unterstützung ist jedoch vielfach erschwert – durch fehlende Angebote sowie durch den Mangel an Rassismussensibilität und an Expertise seitens der Fachkräfte bezüglich der Bedarfe geflüchteter Mädchen und junger FLINTA*. Die Bundesregierung plant eine drastische Kürzung der Finanzierung der psychosozialen Unterstützung für traumatisierte Geflüchtete ab 2025 – ein weiterer Schritt in die falsche Richtung. Wir fordern die Sicherstellung einer ausreichenden Finanzierung der Psychosozialen Zentren (siehe die Pressemitteilung von BAfF e.V. und BumF e.V. zum gestrigen Welttag für psychische Gesundheit). Ebenso gilt: Es braucht einen flächendeckenden Aus- und Aufbau von genderspezifischen Angeboten für Mädchen und FLINTA* im Bereich der psychosozialen und therapeutischen Versorgung!
- Angebot der Sprachmittlung in allen medizinischen Einrichtungen sicherstellen! Sprachmittlungen im Gesundheitsbereich müssen qualitativ und bedarfsgerecht gestaltet sein (siehe hierzu auch die aktuelle Pressemitteilung des Bundesweiten Bündnisses für Sprachmittlung im Gesundheitswesen). Eine professionelle und sensible Sprachmittlung ist unbedingt notwendig, um einen diskriminierungsfreien Zugang zu gesundheitlicher Versorgung zu gewährleisten. Mädchen und junge FLINTA* müssen die Wahl haben, dass die Sprachmittlung durch eine FLINTA* erfolgt.
Wohnen und Unterbringung – Rechte wahren, Bedarfe berücksichtigen!
- Keine Lager und Sammelunterkünfte – dezentrales Wohnen ermöglichen! Vom Fehlen flächendeckender, zuverlässiger Gewaltschutzkonzepte in den Sammelunterkünften sind Mädchen und junge FLINTA* besonders betroffen. Die Lebensbedingungen in den Unterkünften sind gesundheitsgefährdend, der Zugang zu medizinischer Hilfe gleichzeitig durch verschiedene Hürden eingeschränkt. Die Menschen werden isoliert und sind in ihren Teilhabemöglichkeiten und ihrer Selbstbestimmung massiv eingeschränkt. Mädchen und jungen FLINTA* in Sammelunterkünften wird eine ungerechte, schwerwiegende Einschränkung ihrer Bildungschancen zugemutet. Es braucht die Ermöglichung dezentraler Unterbringung!
- Bedarfsgerechte und gendersensible Unterbringung und Betreuung für unbegleitete geflüchtete Mädchen und junge FLINTA* sicherstellen! Die Strukturen der Jugendhilfe müssen dringend erweitert werden: Es fehlt an Betreuungspersonal und an geeigneten Unterbringungsmöglichkeiten. Gerade mit Blick auf geflüchtete Mädchen und junge FLINTA* gibt es oft zu wenig geschützte Unterbringungsmöglichkeiten, Rückzugsräume und spezifische Betreuungsangebote. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der Standardabsenkungen, die in einigen Bundesländern beschlossen wurden, betonen wir: Es darf keine Jugendhilfe 2. Klasse für geflüchtete junge Menschen geben. Es braucht dringend eine Kehrtwende – hin zu einer Jugendhilfe, in der die Rechte aller junger Menschen gleichermaßen gewahrt und in der die besonderen Bedarfe geflüchteter Mädchen und junger FLINTA* berücksichtigt werden.
Unterstützer*innen der Stellungnahme
Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V. – BumF
LAGM*A NRW – Landesarbeitsgemeinschaft Mädchen*arbeit in NRW e.V. (Teil des Projektbeirats „Netzwerk geflüchtete Mädchen und junge Frauen“)
Flüchtlingsrat Brandenburg (Teil des Projektbeirats „Netzwerk geflüchtete Mädchen und junge Frauen“)
Mpower e.V. (Teil des Projektbeirats „Netzwerk geflüchtete Mädchen und junge Frauen“)
Women in Exile (Teil des Projektbeirats „Netzwerk geflüchtete Mädchen und junge Frauen“)
Xenion – Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e.V. (Teil des Projektbeirats „Netzwerk geflüchtete Mädchen und junge Frauen“)
Ban Ying e.V. Zufluchtswohnung
Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen (BNS)
Bundesweite Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – BAfF e.V.
Feministisches Zentrum für Migrant*innen e.V.
Fluchtraum Bremen e.V.
Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH)
International Rescue Committee (IRC) Deutschland
Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant_innen e.V. (KuB)
KOK – Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.
KOOFRA e.V. – Koordinierungsstelle gegen Frauenhandel / Coordination Centre against Trafficking in Women
PRO ASYL – Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V.
Die Stellungnahme ist entstanden im Rahmen des Projekts “Netzwerk geflüchtete Mädchen und junge Frauen“.
Kontakt:
Maren Belinchón, m.belinchon@b-umf.de
Johanna Lal, j.lal@b-umf.de