Die Bundesregierung hat verschärfte Kontrollen an allen Landgrenzen der BRD angeordnet. Die Bilanz: In der vergangenen Woche wurden bisher 739 Menschen zurückgewiesen, darunter Asylsuchende. Von 51 wurden 32 an den Grenzen zurückgeschickt. Was hat sich seither für junge Menschen auf der Flucht verändert?
Gerade für diejenigen, die unbegleitet kommen, ist es beschwerlicher geworden. Sie müssen nun mehrfach versuchen, über die Grenze zu gelangen; haben einen längeren Weg, bis sie ankommen und in Sicherheit sind. Bei den geplanten Zurückweisungen soll es Ausnahmen geben: Schwangere, Kinder, physisch oder psychisch Kranke sowie andere Angehörige vulnerabler Gruppen. Wer aber soll feststellen, wer dazu gehört? Grenzschutzpolizisten haben nicht die Qualifikation dazu. Ob jemand krank oder traumatisiert ist, können nur Ärzte bescheinigen. Viele sehr junge Menschen kommen ohne Pass. Ob das Alter stimmt, ist auf die Schnelle an der Grenze nicht zu klären; ebenso wenig, ob ein junger Mensch tatsächlich von einer Bezugsperson begleitet ist oder etwa auf dem Fluchtweg nur temporär betreut wurde. Das ist Aufgabe der Jugendämter.
Minderjährige dürfen nicht in eine Art Verschiebebahnhof geraten. Das hat auch der Gerichtshof der Europäischen Union festgestellt. Für sie kann es gefährlich sein, an Personen zu geraten, die es nicht gut mit ihnen meinen.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt, CSU, behauptet, dass die an Deutschland angrenzenden Staaten für Menschen auf der Flucht bereits sicher seien.
An den Grenzen findet eindeutig »Racial Profiling« statt: Menschen werden allein aufgrund ihres Aussehens oder ihrer vermuteten Herkunft kontrolliert. Auf der Flucht ziehen sie von Land zu Land. Keiner will sie. So werden sie immer weiter zurückgeschoben, eventuell bis zum Verfolgerland, aus dem sie hatten fliehen müssen.
»Pro Asyl« schilderte, wie kurz nach Weihnachten 2024 drei ägyptische Jugendliche im Grenzgebiet zwischen der Türkei und dem EU-Mitgliedsland Bulgarien ganz in der Nähe des Grenzzauns erfroren. Sie hatten weder vor- noch zurückgekonnt. Die Temperaturen waren unter dem Gefrierpunkt, das Gebiet bergig und unwegsam.
Was sagen Sie dazu, wenn die Bundesregierung argumentiert, auf eine Überforderung zu reagieren, da in Landkreisen, Kommunen und Gemeinden zu viele Geflüchtete ankämen?
Die Situation ist nicht erst seit gestern so. Die Frage ist: Wie gut hat man sich darauf vorbereitet? In den Jahren 2015/ 2016 wurden gute Strukturen für minderjährige Geflüchtete aufgebaut, die man später wieder abbaute. Träger blieben auf den Investitionskosten sitzen, Fachkräfte wurden entlassen. Solch Auf- und Abbau wirkt sich direkt negativ auf die Qualität der Arbeit aus. Das Wissen, dass Fluchtbewegungen nicht immer gleich ausgeprägt sind, ist nichts Neues. Die Bundesregierung muss gemeinsam mit den Kommunen Lösungen finden. Sie darf sich nicht der Verantwortung entziehen, die Menschenrechte einzuhalten.
Welche gesellschaftlichen Folgen beobachten Sie, nachdem die Bundesregierung den von der AfD angestrebten Rechtsruck aktiv betreibt und deren Forderungen übernimmt?
Die Debatte ist aufgeladen. Einzelne Geflüchtete werden nicht in ihrer Notlage gesehen, sondern als anonyme Masse, die angeblich für unser Land schlecht sein soll. Jungen Menschen werden Perspektiven verstellt. Sie können keine Ausbildung machen – nicht etwa, weil es keinen Bedarf an ausgebildeten Kräften gäbe. Ausbilder werden in Unsicherheit gelassen: Stellen sie Azubis ein, könnte die Ausländerbehörde diese plötzlich zur Ausreise zwingen. Die jungen Menschen sehen sich häufig mit dem Vorurteil belegt, dass sie vermeintlich einer Gruppe angehören, die gefährlich ist. Weil der Familiennachzug faktisch jetzt schon ausgesetzt ist, bleiben sie häufig auf sich allein gestellt.
Was bedeutet Dobrindts neue Härte gegenüber Geflüchteten im europäischen Kontext?
Europäische Länder signalisierten bereits, diese Entscheidung der Bundesregierung im Alleingang nicht gutzuheißen. Es muss eine europäische Lösung gefunden werden, die die Menschenrechte achtet.
Interview: Gitta Düperthal
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