Auf Augenhöhe?! Rassismus und Machtgefälle im Unterstützungssystem klar benennen – Interview mit Carina Heide

Anlässlich der derzeitigen Internationalen Wochen gegen Rassismus 2025 (17.- 30. März) möchten wir auf das Interview mit Carina Heide aufmerksam machen, das wir aus unserer Podcastreihe „Das ist der Podcast vom BuMF und nicht vom BAMF“ veröffentlicht haben. Carina Heide ist Psychotherapeutin im Psychosozialen Zentrum (PSZ) für Geflüchtete in Düsseldorf und hat mit uns im Podcast darüber gesprochen warum Rassismus klar benannt werden muss.

Aufenthaltsrechtliche Unsicherheit ist „die Realität der Menschen, die wir da begleiten“

Carina: „Da fühle ich mich manchmal ohnmächtig – gerade bei diesem Thema Ausbildungsduldung! Wenn meine Arbeit darüber entscheidet, ob ich in Deutschland bleiben kann, übt das auf die Betroffenen einen enormen Druck aus, den sich Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind, kaum vorstellen können. Die Menschen werden abhängig gemacht und haben nicht die Freiheit, zu kündigen, wenn jemand sie auf der Arbeit beleidigt. Das ist die Realität der Menschen, die wir da begleiten.“

Rassismuskritische Strukturen im PSZ-Düsseldorf

Carina: „Bei uns gibt es White-Awareness-, Antirassismus- und für die POC-Kolleg*innen Empowerment-Trainings. Wir sind uns bewusst, dass es auch bei uns passieren kann, dass Menschen Rassismus erleben, und versuchen so aware wie möglich zu sein. Dazu haben wir regelmäßig Antirassismus-Treffen, in denen wir uns gegenseitig Rückmeldung geben, über Erfahrungen sprechen und Fragen klären können.“

Wie intervenieren, wenn jemand rassistisch beleidigt wird?

Carina: „In einem Fall bin ich so vorgegangen, dass ich erst mal versucht habe, dass wir gemeinsam Strategien erarbeitet haben. Mit seinem Einverständnis habe ich mit der anderen Betreuerin in seiner Jugendhilfeeinrichtung gesprochen. Da kam direkt Widerstand und eine Solidarisierung mit dem Kollegen – er sei auf gar keinen Fall rassistisch. Dann wurde erklärt, warum eigentlich der Junge schuld sei an der Situation. Und das war eben der Moment, wo ich dann auch gesagt habe » Wenn Sie nicht bereit sind, als zweite Betreuerin ihm diesen Schutz zu geben, den er jetzt gerade braucht, dann muss er woanders wohnen.«

Gerade bei so einem Thema ist es wichtig nichts ohne die betroffenen Personen zu machen und für sie zu sprechen. Nicht einfach direkt irgendwo anrufen, sondern als Option anbieten, Dinge anders zu versprachlichen oder aus einem anderen Blickwinkel Druck auszuüben.“

Ohne Sprachmittlung entsteht ein Machtgefälle

Carina: „Oft bekomme ich mit, dass seitdem die Jugendlichen hier sind ein-/ zweimal ein Sprachmittler da war und sonst ein anderer Jugendlicher zu Rate gezogen wurde – um hochsensible Inhalte zu übersetzen!
Allein darüber, Menschen sprachlos zu halten, gebe ich ihnen ja schon gar nicht den Raum, sich zeigen zu können. Dass es oft keine Sprachmittlung gibt, zeigt strukturellen Rassismus, weil ein Gespräch nicht die erste Priorität hat. Und damit auch nicht, diese Person kennenzulernen und nicht nur als »den Junge aus Afghanistan«.“

Rassismus muss als Rassismus benannt werden

Carina: „Also ich versuche das so weit wie möglich zu benennen, weil nicht alle sich trauen bestimmte Dinge als Rassismus zu benennen, weil sie das Gefühl haben, vom System abhängig zu sein. Im Gespräch versuche ich nichts herunterzuspielen und mich klar zu positionieren. Rassismus bewerte ich auf jeden Fall, und zwar im Sinne der Klient:innen.“

Reflexion und Sensibilität in der Arbeit mit Geflüchteten

Carina: „Gerade im Ehrenamt besteht die Gefahr, dass Menschen ihr Gegenüber als »den Geflüchteten« bezeichnen und ihnen nicht auf Augenhöhe begegnen. Es passiert schnell, in diese Rolle zu verfallen: »Ich helfe den Geflüchteten«. Alleine das hat ja schon eine bevormundende und rassistische Perspektive, wenn die Leute denken, dass sie den Menschen helfen sich zu »integrieren« und ihnen erklären, wie die Gesellschaft funktioniert.
Es gibt ganz viele kurze Momente, wo wir versuchen schnell zu funktionieren und ich auch erst mal Menschen lese, in dem, wie sie z.B. angesprochen werden wollen. In jeder Begegnung ist es wichtig, immer wieder zu reflektieren: Stimmt das jetzt so? Wie verhalte ich mich selber? Ich versuche, erstmal den Raum aufzumachen, ohne den selber direkt zu bestimmen, sondern zu sagen »Was möchten Sie erzählen? Wie geht es Ihnen?« – ohne das vorzugeben und vor allem ohne zu bewerten. Das ist eine Riesenaufgabe, weil ich finde, wir bewerten alle automatisch die ganze Zeit.“

Quelle: Dieser Text basiert auf einem Gespräch, das im Podcast „Der Podcast vom BumF und nicht vom BAMF“ in der dritten Folge „Antirassismusarbeit ist wie Zähneputzen“ geführt wurde.

Redaktion: Livia Giuliani. Sensitivity reading: Maren Belinchón.

Dieses verschriftlichte Interview entstand im Rahmen des Projektes „Kindeswohlgerechtes Ankommen sicherstellen“